Depression abzugeben by Uwe Hauck

Depression abzugeben by Uwe Hauck

Autor:Uwe Hauck [Hauck, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2016-01-14T23:00:00+00:00


TAGE IN DER KLINIK

@bicyclist Endlich ist er da, der Moment, an dem ich aufhöre zu existieren und beginne zu leben. #ausderklapse

Im eigenen Bett zu Hause aufwachen. Zu Hause. Augen auf, ja, tatsächlich, ich bin wieder zu Hause. Ich höre, wie die Kinder die Treppe runtertrampeln, wie im Esszimmer Geschirr klappert. Aufstehen, sich im eigenen Bad frischmachen, mit der Familie beim Frühstück sitzen an einem Montag. An einem Montag!

Ich drehe mich noch mal um, Klinik ist erst in zwei Stunden. Die Kissen hier sind einfach viel angenehmer, das Orange der Wände lässt den Raum in einem warmen Licht leuchten. Neben meinem Bett hängen die Bilder, die unsere Kinder mir im Laufe der Zeit gemalt haben. »Papa, hab dich lieb« oder »Dein Essen ist lecker« steht da zu lesen. Hier ist es viel gemütlicher. Will nicht raus.

Dann stehe ich doch auf, mache mich im eigenen Bad mit Dusche und Badewanne frisch.

Nach dem Frühstück richte ich meine Sachen und begebe mich auf den Weg zur Tagesklinik, bei der ich mich heute anmelden soll. Ich kann mit dem Fahrrad hinfahren, einer der ersten Unterschiede zur stationären Klinik und für mich ein großer Vorteil. Da wir nur ein Auto besitzen, wäre es logistisch sehr aufwendig geworden, hätte meine Frau mich dorthin fahren müssen. Aber so wird die Fahrt in die Klinik gleichzeitig zu meiner ersten (und einzigen) Fitnessaktion des Tages.

Bis zur Klinik sind es knapp fünfzehn Minuten, die ich angenehmerweise auf dem Hinweg bergab zurücklegen kann. Mit dem Fahrrad zu fahren war für mich schon zuvor ein Stück Autonomie, ein Stück Widerstand gegen die tradierten Vorstellungen meiner Umwelt. Aber diese Vorstellungen haben mir letztlich in ihrer Sturheit und Intoleranz das psychische Genick gebrochen. Wie war das in der Feuerzangenbowle? Er denkt ja schon wieder, er soll doch nicht denken. Ja, Denken ist schon noch ganz schön gefährlich. Eigenständig sowieso.

Das Gebäude sieht überhaupt nicht nach Klinik aus. Ein vierstöckiger Flachdachbau, weiß gestrichen, steht direkt an der Hauptstraße. Daneben befindet sich ein Park, und etwas weiter unterhalb, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, entdecke ich einen Supermarkt, der für einige von uns Patienten die Grundversorgung mit Süßigkeiten sichert. Vor dem Gebäude befindet sich ein kleines Grundstück, das genug Platz für eine Sitzgruppe bietet und ein paar Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Dort schließe ich mein Rad an und betrete das Gebäude. Die untere und die erste Etage sind Wohneinheiten, die zweite und dritte Etage gehören zur Tagesklinik, noch eine Etage darüber befinden sich Büroräume, die im Moment aber leer zu stehen scheinen.

Als ich im zweiten Stock ankomme, fällt mein Blick in einen großen Raum, der weitestgehend leer zu sein scheint. An den Fenstern stehen eine Reihe von Stühlen und drei Tische, auf ihnen Miniaturvasen mit Blumen. Ich zähle drei Personen, wie ich vermute Patienten, eine ältere Frau mit Strickzeug, einen jungen Mann, der auf seinem Smartphone tippt, und eine junge Frau, die mit Bleistift an einer Zeichnung arbeitet.

Noch bevor ich etwas sagen kann, tritt eine Frau von geschätzten 55 Jahren auf mich zu, streckt mir die Hand entgegen und fragt: »Und Sie sind der Herr …?«

»Hauck«, antworte ich.



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